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Brutalismus: Die rohe Schönheit des Sichtbetons

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 Der Brutalismus, eine Architekturrichtung, die in den Nachkriegsjahren aufkam, erlebt heute eine bemerkenswerte Renaissance. Insbesondere der sogenannte Sichtbeton oder „Béton brut“ ist ein zentraler Bestandteil dieser Bewegung. Den Begriff und die Bauweise prägte maßgeblich der berühmte Schweizer Architekt Le Corbusier (1887–1965), der nach dem Zweiten Weltkrieg begann, Beton nicht mehr zu verkleiden, sondern in seiner rohen, unbearbeiteten Form sichtbar zu lassen. Le Corbusier wollte, dass der Beton das Material und die Struktur des Gebäudes offen und ehrlich zeigt – so wie er nach dem Entfernen der Holzschalung erscheint. Diese Offenlegung der Baumaterialien und die Weigerung, sie zu verschönern, war revolutionär und prägend für den Brutalismus. Mit „brutal“ hat der Begriff also nichts zu tun, sondern eher mit „roh“, „direkt“ oder „herb“ - ähnlich wie beim Champagner brut. Als erster prägte übrigens der schwedische Architekt Hans Asplund den Begriff.

 

Le Corbusier, einer der einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts, verfolgte eine Vision der modernen Architektur, die Funktionalität und Rationalität in den Vordergrund stellte. Seine Arbeit strebte oft danach, soziale und ästhetische Utopien zu verwirklichen. Eines seiner berühmtesten brutalistischen Bauwerke ist die Unité d’Habitation in Marseille (1947–1952), ein riesiger Wohnkomplex, der als „Vertikale Stadt“ gedacht war. Es vereinte Wohnungen, Geschäfte, ein Hotel, eine Schule und Gemeinschaftsflächen unter einem Dach – und dies alles in Sichtbeton.

 

Andere berühmte Gebäude des Brutalismus sind das National Theatre in London (1976) und die Boston City Hall (1968). Beide Gebäude verwenden den Sichtbeton auf eindrucksvolle Weise, was sie zu Symbolen dieser Bauweise macht. Auch in Deutschland existiert noch eine größere Zahl brutalistischer Bauten. Zum Beispiel die Wallfahrtskirche von Neviges bei Wuppertal. Ein wahres Betongebirge, erschaffen vom „Gott des Betons“, dem Architekten Gottfried Böhm. Viele Rathäuser der Nachkriegszeit entstanden im Stil des Brutalismus, auch Universitäten.

 

Monumental, streng, ehrlich

 

Was Brutalismus auf der einen Seite so anziehend, auf der anderen Seite aber auch sehr polarisierend macht, ist die rohe, ungeschönte Ästhetik. Diese Architektur spricht eine klare Sprache – sie wirkt monumental, streng und gleichzeitig ehrlich. Die Linien sind oft muskulös, massiv und geometrisch, das Material wirkt schwer und unverfälscht. Manche bezeichnen sie als „Bodybuilding-Architektur. Für viele Menschen hat diese Reduziertheit und Klarheit einen besonderen ästhetischen Reiz, da sie eine Form von Schönheit in der Funktionalität und der Materialität sehen. Andere wiederum empfinden den Brutalismus als kalt, abweisend und geradezu hässlich.

 

Kostengünstig und schnell verfügbar

 

Kostenmäßig war der Einsatz von Sichtbeton eine praktische Lösung: In der Nachkriegszeit war Beton als Baustoff günstig, schnell verfügbar und robust. Diese Eigenschaften machten ihn ideal für den Wiederaufbau, besonders für große öffentliche oder Wohngebäude. Die architektonische Betonung des Materials sparte auch Kosten für Verkleidungen oder dekorative Elemente. Heute allerdings, wo der Brutalismus als architektonisches Erbe neu bewertet wird, kann die Erhaltung und Renovierung solcher Gebäude teuer sein, da der Beton im Laufe der Jahre stark angegriffen wird und spezielle Sanierungsarbeiten erfordert. Dazu gehören regelmäßige Reinigungen, das Ausbessern von Rissen und Abplatzungen, Korrosionsschutz der Bewehrung und der Einsatz von Imprägnierungen zum Schutz vor Feuchtigkeit. Besonders schwierig und kostspielig ist es, Reparaturen so durchzuführen, dass sie sich nahtlos in die originale Ästhetik einfügen.

 

Eine solche architektonische Herausforderung ist jedoch nicht nur eine Frage des Erhalts, sondern auch der Interpretation. Brutalistische Gebäude wecken oft starke Emotionen. Ihre imposante und teilweise erdrückende Präsenz wird entweder als faszinierend und majestätisch oder als brutal und kalt empfunden. Diese ambivalente Wahrnehmung macht den Brutalismus bis heute zu einer der kontroversesten Architekturströmungen der Moderne.
Die Datenbank sosbrutalism.org hat sich der Bewahrung dieser Architektur verschrieben und bietet eine internationale Übersicht über brutalistische Bauwerke. kw

 

Bild: pexels paulorezendefotografo

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