Intelligente und smarte Baustoffe
Die Baugewerbe ist stets im Wandel. Da die Sicherheit der Bauwerke und damit der Baustoffe an erster Stelle steht, ist die Baubranche nicht die schnellste, wenn es um die Entwicklung und Marktreife von Innovationen geht, so zumindest sieht das Horst-Michael Ludwig, Direktor des Instituts für Baustoffkunde an der Bauhaus-Universität Weimar. Aus seiner Sicht müssen Neuerungen gründlich vorbereitet werden und intelligente Systeme entwickelt werden, die auf äußere Einwirkungen wie Umwelteinflüsse selbst reagieren und sich Umweltbedingungen anpassen. Die Wissenschaft forscht auf diesem Gebiet in großem Umfang. Dabei werden Themen wie selbstheilende oder intelligente Baustoffe entwickelt und untersucht oder auch die Steuerung von Produkteigenschaften über die Temperatur sowie die Umweltverträglichkeit vorhandener und neu entwickelter Baustoffe.
Beispiele für bereits entwickelte intelligente und smarte Baustoffe, die schon auf dem Markt sind, gibt es einige. Zu nennen sind dabei beispielsweise Beton aus dem 3-D-Drucker, intelligentes Glas, innovative Gebäudedämmung, Lichtbeton oder smarte Straßenbeläge.
Selbstheilender Beton
Die TU München forscht derzeit an einem selbstheilenden Beton. Kleine Bakterien, die dem Beton beigemischt werden, reagieren sobald Wasser durch Risse in das Material eindringt und reparieren diesen durch die Verstoffwechslung von zugegebenem Lactat. Dieser Prozess dauert allerdings einige Wochen, in denen ein Bestandteil des Betons, Calciumcarbonat, entsteht, das wiederum die Risse schließt. Solche und andere intelligenten Baustoffe könnten beim Brückenbau eingesetzt werden, da von diesen Bauwerken eine lange Haltbarkeit erwartet wird.
Ebenso wird an der Verbindung von Beton und Polymer geforscht. Anwendung findet dieses Gemisch bereits bei einem Baukastensystem für Wohnhäuser. Dem Polymerbeton wird Wüstensand beigemischt, der dadurch besser auf Biegebelastungen reagiert als Zementbeton. Kritisch zu sehen ist allerdings bei dem Einsatz von Wüstensand der Nachhaltigkeitsaspekt, der in Europa eine immer größere Rolle spielt.
Beton aus dem 3-D-Drucker
Die Hälfte des weltweiten Betonvolumens wird bisher direkt auf der Baustelle verarbeitet und ist personal- sowie materialaufwendig. Daher haben Wissenschaftler der TU Dresden ein 3-D-Druck-Verfahren zur Fertigung qualitativ hochwertigen sowie sehr gleichmäßigen Betons entwickelt, das sowohl Personal als auch Ressourcen spart. Kern der neuen Entwicklung ist der schichtweise Austrag eines schnell härtenden Spezialbetons direkt auf der Baustelle. Ein Großraumroboter, der eine für den Vorgang modifizierte, herkömmliche Baumaschine sein kann, führt den Druckkopf während des Beton-Drucks präzise passend für die dort benötigten Baustrukturen - die material-intensive Schalung zur Formung des Betons entfällt. Die für den 3-D-Beton-Druck notwendigen Daten werden bereits in der Planungsphase erstellt und werden zur Steuerung und Überwachung des Großraumroboters verwendet.
Die TU Braunschweig sieht nicht nur ein mögliches Verfahren für den 3-D-Beton-Druck, sondern differenziert mehrere Varianten. Bei der ersten Variante, auch Extrusionsverfahren genannt, werden die Baustoffe mit Wasser vorab gemischt und dann in Frischbetonsträngen aufgebaut. Bei der zweiten Variante wird ein Material wie Sand aufgebracht und danach ein Bindemittel wie Zement, damit eine feste Struktur entsteht. Bei dieser Methode sehen die Forscher im Gegensatz zum Extrusionsverfahren keine Einschränkungen hinsichtlich des Designs. Beim Shotcrete 3D Printing (SC3DP), der dritten Variante, wird Beton schichtweise aufgespritzt. Bei dieser Methode kann der Beton auch kopfüber oder vertikal aufgetragen werden, da der Beton durch die Bewegungsenergie an den vorhandenen Schichten haften bleibt.
Leuchtende Betonvarianten für die Zukunft
Nicht nur an der Herstellungsart von Beton wird geforscht, sondern auch an seinen Eigenschaften. Es gibt Beton mittlerweile nicht nur in verschiedenen Farben, sondern auch lichtdurchlässig. Damit gehört der graue langweilige Beton der Vergangenheit an. Mit Hilfe eines speziellen Herstellungsverfahrens mit Beton und Glasfasernetzen wird der Beton im wahrsten Sinne des Wortes zum Leuchten gebracht. Diese handgefertigten extra stabilen Lichtbeton-Fertigteile können im Außenbereich oder im Innenbereich für Wände und Möbel verwendet werden. Mit einer Haltbarkeit von 50 Jahren ist auch der Nachhaltigkeit genüge getan. Neben dem lichtdurchlässigen Beton wird auch lichtreflektierender Beton angeboten. Die mit Glasperlen überzogene Oberfläche reflektiert einfallendes Licht jeder Art in die Richtung der Lichtquelle.
Intelligentes Glas
Nicht nur auf dem Gebiet der Betonherstellung sind Innovationen zu beobachten. Auch Glas ist nun smart. Dazu gehört eine Glasart, die ihre Durchlässigkeit verändern kann. Somit sind Fenster, Glastüren oder Innenverglasungen in Büroräumen je nach Wunsch transparent oder undurchsichtig. Gesteuert wird dieser Effekt durch Energie, also Strom oder Sonneneinstrahlung. Dazu wird nach dem Einbau des smarten Glases lediglich eine Fernbedienung benötigt, mit der sich dieses durchsichtig, milchig, farbig oder dimmend einstellen lässt. Das smarte Glas kann als Funktionsglas aber nicht nur einen Sichtschutz in Privat- oder Besprechungsräumen erzeugen, sondern je nach Beschaffenheit bei steigenden Außentemperaturen durch Verdunklung auch die Innenräume vor Sonnenlicht und damit vor Hitze schützen.
Intelligentes Glas wird von verschiedenen Herstellern angeboten. So macht es beispielsweise einen Unterschied, ob die Scheibe durch das Anlegen von Strom transparent wird oder durchsichtig. Hier sind verschiedene Technologien im Einsatz, die unterschiedliche Funktionen wie Hitzeschutz oder Sichtschutz beinhalten.
Smarte Gebäude
Isoliert betrachtet sind intelligente Baustoffe teurer als herkömmliche und scheinen in manchen Anwendungen wie Spielerei. Allerdings ergibt das Zusammenspiel verschiedener intelligenter Baustoffe sowie Dämmung mit einer smarten Steuerung der Gebäude erst ein Gesamtbild, was die Zukunftsfähigkeit und Notwendigkeit von Innovationen der Baubranche deutlich macht. Ein Beispiel für Nachhaltigkeit ist die Nutzung von Baustoffen wie Beton zum Bau von nachhaltigen Gebäuden wie dem „The Edge“ in Amsterdam. Die aus Fertigbetonteilen gefertigte Fassade dient als Energiespeicher. Ausschließlich mit Hilfe von Energie aus Photovoltaik wird das Gebäude im Sommer gekühlt und im Winter geheizt. In Österreich gibt es inzwischen ebenfalls Gebäude, die auf diese Art und Weise mehr Energie erzeugen als verbraucht wird.
Smarter Helfer: die Straße
Auch Straßenbelag kann smart sein. In Holland wird getestet, ob glühende Fahrbahnstreifen bei Dunkelheit die Fahrer unterstützen und zu ihrer Sicherheit beitragen können. Aufgeladen werden die nächtlich leuchtenden Fahrbahnstreifen tagsüber durch die Sonneneinstrahlung. Weitere Ideen sind bei dem Design Studio Daan Roosegaarde schon in Planung, wie beispielsweise ein Fahrbahnbelag der Glätte anzeigt oder Elektroautos während der Fahrt auflädt. In den USA gibt es bereits eine Teststrecke, auf der Energie nicht nur durch die Sonneneinstrahlung gesammelt wird, sondern durch den Druck der auf ihr fahrenden Fahrzeuge.
Beton, der Raser entlarvt
Ebenfalls in den USA getestet wird ein intelligenter Beton, der Raser aufspüren soll. Durch mehrwandige Nanoröhrchen aus Kohlenstoff wird der Beton zu einem empfindlichen Drucksensor mit dessen Hilfe Daten über Geschwindigkeit und Zahl der Fahrzeuge gesammelt werden können. In Zukunft soll geprüft werden, ob es möglich ist durch weitere Entwicklung zudem Daten wie Gewicht der Fahrzeuge zu prüfen oder auch Staus und Beschädigungen an der Straße zu erkennen.
Luftreinigung durch Beton-Pflastersteine
Für saubere Luft hingegen soll der Zusatzstoff Photoment sorgen, der Beton-Pflastersteinen von einem deutschen Unternehmen zugemischt wird. Das fotokatalytische Material reagiert in Kombination mit ultravioletten Strahlen und wandelt die Stickoxide in Nitrate um. Dadurch soll die Luft gereinigt werden. Zusätzlich können sich auf der Oberfläche der Pflastersteine keine Moose oder Flechten bilden, so dass diese weniger verschmutzen. Wie bei all diesen Innovationen stellen sich dem Nutzen die Kosten entgegen. Hier müssen langfristig Lösungen gefunden werden, damit innovative Ideen flächendeckend umgesetzt werden können.
Bild: Luccon Lichtbeton GmbH